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Selber schuld 2!

Rechtsanwaltskanzlei Kohl-Quabeck
7 August 2019
  
Verfahrensverzögerung durch Verteidigungsverhalten?
Wenn die Untersuchungshaft mal wieder länger dauert, ist selbstverständlich die Verteidigung schuld.
So jedenfalls die Ansicht des Bundesgerichtshofes im Beschluß vom 03.05.2019 – AK 15/19, StB 9/19, NJW 2019, 2249.  

Der Angeklagte war seit dem 21.03.2018 in Untersuchungshaft. Er hatte einen Pflichtverteidiger und eine Wahlverteidigerin.   
Am 18.12.2018 wurde vom Gericht das Hauptverfahren eröffnet, der Haftbefehl an die erhobene Anklage angepasst und neu erlassen.  
Am 07.01.2019 beantragte die Wahlverteidigerin, zur weiteren Pflichtverteidigerin bestellt zu werden, was abgelehnt wurde.  
Nach Terminabsprachen mit den Verteidigern war die erste Hauptverhandlung auf den 17.01.2019 terminiert. Bis zum 26.02.2019 fanden fünf Verhandlungstage statt.  
Am nächsten Termin vom 12.03.2019 war der Pflichtverteidiger erkrankt.  
Die im Gerichtsgebäude anwesende Wahlverteidigerin war bereit, an der Verhandlung teilzunehmen, aber nur, wenn sie zur weiteren Pflichtverteidigerin bestellt würde. Das wurde, wie bereits der Antrag vom 07.01.2019, abgelehnt.  
Der Vorsitzende genehmigte die Vertretung des erkrankten Pflichtverteidigers durch die Wahlverteidigerin, was diese aber aus rechtlichen Gründen ablehnte.  
Der Termin fand also nicht statt.  
Am 13.03.2019 beantragte die Wahlverteidigerin erneut erfolglos ihre Beiordnung als Pflichtverteidigerin.  
Der nächste Termin vom 14.03.2019 fand aus gleichen Gründen wie vom 12.03.2019 nicht statt.  
Zum nächsten Termin vom 18.03.2019 war der Pflichtverteidiger immer noch erkrankt, die Wahlverteidigerin war verhindert.  
Am 19.03.2019 waren beide Verteidiger gerichtsbekannt verhindert.  
Die maximale Dauer der Unterbrechung der Hauptverhandlung war erreicht und das Gericht beschloß am 19.03.2019 die Aussetzung der Hauptverhandlung.  
Somit war das bisher verhandelte obsolet und es mußte mit der Hauptverhandlung von neuem begonnen werden.  
Soweit die Umstände.  

Die Wahlverteidigerin hat am 25.03.2019 gegen die Haft Beschwerde eingelegt, weil die Aussetzung der Hauptverhandlung und der damit erforderliche Neubeginn derselben das Verfahren verzögerten. Das verstieße gegen den Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen und mache die weitere Untersuchungshaft unverhältnismäßig.  
Das Gericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.  
Die Beschwerde dagegen zum BGH hat derselbe zwar für statthaft und zulässig erachtet, aber als unbegründet zurückgewiesen.  

Zu Recht?  
Schulbuchmäßig prüft der BGH die Voraussetzungen des Haftbefehls und prüft schließlich die Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft. Denn: „Mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft vergrößert sich regelmäßig das Gewicht des Freiheitsanspruchs gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung. Daraus folgt, daß die Anforderungen an die Zügigkeit der Arbeit in einer Haftsache mit der Dauer der Untersuchungshaft steigen, aber auch die Anforderungen an den die Haftfortdauer rechtfertigenden Grund zunehmen (BGH, NStZ-RR 2016, 217 m.w.N.)“.  
So weit, so gut.  

Man erinnere sich: Zum Zeitpunkt der Aussetzung befand sich der Angeklagte bereits ein gutes Jahr in Untersuchungshaft. Wegen Aussetzung und Neubeginn der Hauptverhandlung verlängerte sie sich weiter.

Dennoch sieht der BGH hierin kein Problem. Denn: „Bei der Prüfung der Fortdauer der Untersuchungshaft und deren Verhältnismäßigkeit ist die (Mit-)Ursächlichkeit von Verteidigungsverhalten für die Verfahrensdauer sowohl nach der Rechtsprechung des BVerfG (StV 2008, 198 = BeckRS 2008, 31928) als auch nach derjenigen des EGMR (NJW 2015, 3773 (3775)) und des Senats (vgl. NstZ-RR 2013, 16 = JR 2013,419 (421); Beschl. v. 04.02.2016 -StB 1/16, BeckRS 2016, 4203 Rn. 25; NstZ-RR 2017, 18 (19)) zu berücksichtigen.“  
So sei es hier. Das Verhalten der Wahlverteidigerin, trotz Anwesenheit im Gerichtsgebäude nicht an den anberaumten Terminen zur Hauptverhandlung teilzunehmen, nur teilnehmen zu wollen, wenn sie als weitere Pflichtverteidigerin beigeordnet würde, auch nicht als Vertreterin des Pflichtverteidigers trotz Genehmigung durch den Vorsitzenden an der Hauptverhandlung teilnehmen zu wollen, habe auch ganz wesentlich zur Aussetzung und damit zur Verzögerung von gut zehn Wochen geführt. Roma locuta. Causa finita.  

Wirklich?
Den Vorschlag des Vorsitzenden, eine Vertretung des erkrankten Pflichtverteidigers durch die Wahlverteidigerin genehmigen zu wollen, durfte die Wahlverteidigerin ablehnen. Eine  Vertretung ist schlicht nicht möglich.
Die Bestellung zum Pflichtverteidiger ist persönlicher Natur. Der Pflichtverteidiger selber kann gar keinen Vertreter bevollmächtigten. Wieso soll das ein Vorsitzender können?
Die hier gerne zitierte Entscheidung des OLG Frankfurt am Main vom 09.01.1980, nämlich daß der partiell verhinderte Pflichtverteidiger sich mit Genehmigung des Gerichts (!) durch einen anderen Rechtsanwalt vertreten lassen könne, nennt keinen Rechtsgrund, warum das so sei. Der Verweis des OLG Frankfurt am Main auf den Kommentar Kleinknecht ist überholt. Der Kommentar hat sich längst von dieser Sicht distanziert: „... richtiger erscheint es, den Vertreter vorübergehend beizuordnen...“ (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. A., § 142 RN 15).  
Auch die gerne zitierte Entscheidung des KG in NStZ 2005, 327 ist nicht überzeugend. Die dortige Behauptung, für die Pflichtverteidigung sei allgemein anerkannt, daß sich der bestellte Verteidiger bei vorübergehender Verhinderung mit Genehmigung des Gerichts durch einen anderen Rechtsanwalt vertreten lassen könne, ist schlicht falsch. Von allgemeiner Anerkennung kann keine Rede sein. Die Frage ist durchaus umstritten. Eine rechtliche Begründung für die Behauptung wird nicht geliefert, sondern nur die üblichen Verweise u. a. wieder einmal ganz prominent auf das OLG Frankfurt am Main vom 09.01.1980.  

Die also durchaus vertretbare Rechtsansicht der Wahlverteidigerin, nicht als Vertreterin des Pflichtverteidigers auftreten zu können, kann ihr und dem Angeklagten nicht zur Last fallen.  
Die Weigerung einen rechtlich zweifelhaften Weg zu beschreiten, ist keine Verzögerung, die in der Abwägung der Verhältnismäßigkeit der fortdauernden Untersuchungshaft zu Buche schlägt. Von der Verteidigung kann nichts rechtlich zweifelhaftes verlangt werden. Jedenfalls kann man das nicht als ganz wesentlichen Umstand für eine Verzögerung heranziehen und der Verteidigung vorwerfen. Aber, sei´s drum.  

Wie sah es denn mit dem Verhalten des Gerichts bzw. des Vorsitzenden aus?

Hier lohnt eine nähere Betrachtung der oben zitierten Rechtsprechung des EGMR.
Danach müssen neben dem bloßen Vorliegen der Haftgründe, die zuständigen Gerichte das Verfahren besonders (!) gefördert haben, um dem Vorwurf zu entgehen, das Verfahren nicht genügend beschleunigt zu haben. Es ist eine aktive (!) Vorgehensweise erforderlich, um das Verfahren so weit wie möglich (!) zu beschleunigen.  

Der Pflichtverteidiger war erkennbar länger krank. Jedenfalls war zu befürchten, daß die Hauptverhandlung nicht innerhalb der Unterbrechungsfrist fortgesetzt werden könnte.  
In diesem Licht wäre die aktive, das Verfahren besonders fördernde Maßnahme, die rechtzeitige Beiordnung der Wahlverteidigerin als weitere Pflichtverteidigerin gewesen.  Damit hätte die drohende und schließlich tatsächlich erfolgte Aussetzung der Hauptverhandlung vermieden werden können.  
Die Weigerung der Wahlverteidigerin, an den Terminen als solche teilzunehmen, hätte damit entkräftet werden können. Als Pflichtverteidigerin wäre sie zur Teilnahme an der Hauptverhandlung nicht nur verpflichtet, sondern wie aus ihren Anträgen ersichtlich auch bereit gewesen. Die Wahlverteidigerin hatte nämlich bereits vor Beginn der Hauptverhandlung und während derselben mehrmals ihre Beiordnung als weitere Pflichtverteidigerin beantragt. Sie kannte den Fall und war darin eingearbeitet. Ein Aussetzungsantrag mit der Begründung, sie müsse sich erst in die Sache einarbeiten, war also nicht zu befürchten.  
Die Sache nach dem erfolglosen und rechtlich wackeligen Vorschlag, die Vertretung des Pflichtverteidigers durch die Wahlverteidigerin zu genehmigen, auf sich beruhen zu lassen, kann nicht als aktiv und besonders fördernd bezeichnet werden.  

Die Verzögerung beruhte also mitnichten ganz wesentlich auf dem Verhalten der Wahlverteidigerin. Die Verzögerung beruhte vielmehr ganz wesentlich auf der fehlenden besonderen aktiven Förderung des Verfahrens durch das Gericht bzw. des Vorsitzenden, nämlich der Beiordnung als weitere Pflichtverteidigerin. Das wäre der sichere Weg gewesen, das Verfahren so weit wie möglich zu beschleunigen.  





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